Sonntag, 2. Juli 2017

Didaktik-Kasper machen den Otto

Die Einbindung neuer technischer Erfindungen in den Mathematikunterricht hat eine jahrhundertelange Tradition. Die Römer unterrichteten mit dem Abakus, die Griechen mit Sandtafeln, und Adam Ries lehrte das Rechnen auf den Linien. Man erfand Sextanten und zeigte den Schülern, wie man mit trigonometrischen Funktionen umgeht und dies mit den eben dazu entwickelten Logarithmen berechnen kann. Der Rechenschieber erlaubte es, viele Rechnungen noch schneller durchzuführen, und mit dem Taschenrechner war auch das Rechnen mit hyperbolischen Funktionen kein Problem mehr.

Etwas später haben die Didaktiker gemerkt, dass sogar Kinder einen Taschenrechner bedienen können. Dies hat zu den absurdesten Vorschlägen geführt; insbesondere Krauthausen und Meißner sind nicht müde geworden, die Einführung des Taschenrechners in Grundschulen und Kindergärten zu fordern. Wobei man Meißner zugute halten muss, dass er das wohl weniger aus Überzeugung denn aus finanziellen Gründen (TI hat der Uni Münster ein Jahrzehnt lang Drittmittelmillionen für das Absingen der Hymnen auf die Taschenrechner überwiesen) getan hat.

Als dann die graphikfähigen Taschenrechner (GTR) auf den Markt kamen, haben Didaktiker bundesweit ihre Chance erkannt, über diese Geräte ihre Publikationsliste zu verlängern und mit Hilfe eigens dafür entworfener schwachsinniger realitätsbezogener Aufgaben Einfluss erst auf das Abitur und dann auf die Bildungspläne zu nehmen. Das gleiche gilt für die wenig später entwickelten CAS-Geräte (Computer-Algebra-Systeme). Wurde früher bei Einführung von Logarithmentafeln, Rechenschiebern und Taschenrechner der Schulstoff ausgeweitet, sorgen jetzt aber Didaktiker dafür, dass der Schulstoff durch die Einführung jedes neuen technischen Schnickschnacks wesentlich reduziert wird.

Warum Baden-Württemberg 2004 den GTR im Abitur eingeführt hat, kann man 10 Jahre später in NRW nachlesen:

       Das Potenzial dieser Werkzeuge entfaltet sich im Mathematikunterricht
  • beim Entdecken mathematischer Zusammenhänge, insbesondere durch interaktive Erkundungen beim Modellieren und Problemlösen,
  • durch Verständnisförderung für mathematische Zusammenhänge, nicht zuletzt mittels vielfältiger   Darstellungsmöglichkeiten,
  • mit der Reduktion schematischer Abläufe und der Verarbeitung größerer Datenmengen,
  • durch die Unterstützung individueller Präferenzen und Zugänge beim Bearbeiten von Aufgaben einschließlich der reflektierten Nutzung von Kontrollmöglichkeiten.
Dass das hohles Geschwätz ist mag man daran erkennen, dass in Baden-Württemberg gleichzeitig die Abkehr vom GTR beschlossen wurde (nächstes Jahr kommt das letzte GTR-Abitur). 

Einer der ganz großen Verteidiger der Rechenknechte (und zwar von CASIO, schließlich kann TI nicht alle Didaktiker bezahlen) ist Hans-Jürgen Elschenbroich, der sich dann auch lautstark gegen die Abschaffung des GTR in BaWü geäußert hat, etwa im Artikel "Rechnen wie in der Steinzeit" . Dort kann man die gesammelten Märchen der Reformer nachlesen, etwa dass das Nachlassen der Rechenfertigkeiten durch den Einsatz technischer Hilfsmittel nicht wissenschaftlich fundiert sei. Das glaube ich sofort, denn eigentlich haben doch die Didaktiker die Aufgabe, solche Studien zu machen; das haben die aber nicht getan. Dass sie es deswegen nicht getan haben, weil sie von TI und Casio bezahlt worden sind, ist aber ein böses Gerücht, das meines Wissens durch keine Studie wissenschaftlich fundiert belegt ist. Dass sich Baden-Württemberg in die digitale Isolation begibt, wie Elschenbroich suggeriert, ist angesichts der Fakten eine seltsame Behauptung: auch in Bayern, Berlin, Brandenburg, Hamburg, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein gibt es keinen GTR im Abitur, und mir ist keine einzige deutsche Universität bekannt, die dieses Gerät in Klausuren der ersten Semester zulassen würde. Aber was sind schon Fakten.

Schauen wir uns also einige der Gründe an, weswegen Lehrer ihre Schüler mit CASen beglücken sollten. Herget (der, das muss man ihm lassen, seit Jahrzehnten für die Abschaffung von Rechenfertigkeiten der Schüler kämpft), Heugl,  Kutzler und Lehmann beantworten die Frage, was man im CAS-Zeitalter noch rechnen können sollte, eindeutig und ausführlich in ihrem Artikel so: 
  1. Die Primfaktorzerlegung von 15 sollte man von Hand können, die von 30 dem CAS überlassen.
  2. Den Bruch 102/105 vereinfacht man von Hand, 100 x3y2/10xy5 dagegen mit dem CAS.
  3. 2(ab) vereinfacht man per Hand zu 2ab, während (2a+t)ein CAS übernimmt.
  4. Die Gleichung 5x-6 = 15 löst man per Hand nach x, 5x - 6 = 2x + 15 dagegen mit dem CAS.
Seit wann man eine Gleichung nach x löst (und nicht nach x auflöst), weiß ich nicht. Sei's drum.
 
Im neuen Lambacher-Schweizer 7 sind die Hergetschen Vereinfachungsaufgaben jedenfalls bereits aufgenommen; dort findet sich eine ganze Aufgabengruppe, bei der man 2n/3, 3/4*x, m*5/6 usw. vereinfachen soll. 

Offizielles Ziel der Didaktik war es, durch Abschaffung der Rechenfertigkeit das Verständnis der Mathematik zu erhöhen. Ich weiß nicht, ob das außer der Politik je jemand geglaubt hat, denn zeitgleich haben die Didaktiker ja auch Definitionen, Sätze und Beweise aus den Büchern entfernt und durch mathematisches Argumentieren ersetzt, was in der schulischen Praxis auf ein Wiederkäuen auswendig gelernter Phrasen hinausläuft.

Selbstverständlich kann ein CAS viel mehr als nur Gleichungen der Form 2x+1 = 16 lösen. In den TI-Nachrichten von 2002 demonstriert Josef Böhm, wie man mit einem CAS Gesichter malen kann:

Ein popliger Taschenrechner, da geben wir Elschenbroich recht, kann das nicht.

Im Computer-Algebra-Rundbrief von 2011 geben Prof. Guido Pinkernell und Clemens Diemer eine weitere Anwendungsmöglichkeit von Computer-Algebra-Systemen: man gibt seinen Vornamen, etwa Otto, in ein CAS ein und setzt Rechenzeichen zwischen die Buchstaben:
Toll, gell? Man kann jetzt Algebra entdecken, indem man versucht, den Otto zur Null zu machen. Und man kann erforschen, ob man den Otto auch zur 1 oder zur 2 machen kann. Die Idee dahinter ist, anhand der Ausgabe des CAS die Rechenregeln für Klammerausdrücke zu erkunden. Ich gebe zu, dass es schwer ist, die Benutzung eines CAS zu rechtfertigen, nachdem man die ganzen Inhalte aus dem Mathematikunterricht entfernt hat. Aber sollte man derartige Perversitäten, wie sie Pinkernell da allen Ernstes vorschlägt, nicht doch verbieten? Oder zumindest dafür sorgen, dass dieser Schwachsinn nicht mehr vom Steuerzahler bezahlt wird? Im Ernst: Was machen diese Kasper mit meinem Fach? 

Was machen diese Kasper mit meinem Fach?

1 Kommentar:

  1. Ist das ernst gemeint oder ist das Satire? Das muss man sich bei diesen Didaktoren echt fragen?

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