Freitag, 18. November 2016

Wo liegt denn Stalingrad?

Das fragte sich Jupp in einem Lied von BAP vor vielen Jahren - nicht, weil er es nicht wusste, sondern weil er es verdrängt hatte. Heute wäre diese Frage sinnlos, denn wer wissen will, wo Stalingrad liegt, kann es einfach nachgoogeln .Ob sich einem der Sinn des Liedes sofort erschließt, wenn man gelernt hat, dass es in der Sowjetunion lag und heute in Russland, sei dahingestellt.

And now for something completely different, wie es bei Monty Python immer hieß. Die Schwäbische Zeitung macht neuerdings regelmäßig Werbung für die digitale Revolution. Sie beginnt damit, den Präsidenten des Lehrerverbands Josef Kraus in die Dinosaurierecke zu stellen:

     "Mit seiner Meinung, dass Computer, Laptops und Tablets in Schulen kaum einen
      Mehrwert bringen, steht Josef Kraus ziemlich allein da"

kann man dort lesen. Das ist nicht die ganze Wahrheit, weil wir mindestens zu zweit sind. Inzwischen hat sich sogar die DMV dazugesellt, also die Vereinigung der deutschen Mathematiker. Ziemlich allein scheint jetzt nur noch Kevin zu sein, und der heißt heute Birgit Eickelmann. Frau Prof. Dr. phil. habil., wie sie mit voller Titelei (ich habe die t nachgezählt, sicher ist sicher) von der CDU-CSU Fraktion genannt wird, "kann diese Haltung nicht verstehen". Bei Schultafeln käme dieser Vorwurf ja auch nicht:

    "Diese Diskussion geht damit zu Lasten der jungen Generation und ist für mich nicht      
      nachvollziehbar", sagte sie der "Schwäbischen Zeitung".

Dass sie es nicht versteht, hatte sie ja bereits erwähnt, aber sicher ist sicher. Dass diese Diskussion zu Lasten der jungen Generation geht, ist wie die Einsamkeit um Herrn Kraus eine Behauptung, die durch keinerlei Fakten verunstaltet wird. Das wollen wir jetzt etwas ändern. Denn wie Jupp von BAP sind Frau Eickelmann gewisse Teile ihrer Vita "entfallen"; im Gegensatz zu einem Penner der 1980er hätten ihr aber die Segnungen der modernen Technik, die zu preisen sie nicht müde wird, zur Verfügung gestanden. Will heißen: sie hätte einfach in Netz nachsehen können, dass sie für ihren Einsatz digitaler Medien in Schulen von der Telekom bezahlt wird. Telekom? In welchem Land ist das?

Dass Frau Eickelmann an der Erhebung bzw. Auswertung zweier Studien beteiligt war, nämich an ICILS (2013) und an "Schule digital" (2015), wird im Artikel erwähnt, wohl um ihre Kompetenz in Sachen digitaler Bildung zu belegen. Die Sonderauswertung der ICILS durch Frau Prof. E. wurde
 von der Telekom in Auftrag gegeben, die zweite Studie von der Telekom bezahlt. Weiter hat Frau Prof. E. vergessen zu erwähnen, dass sie Mitautorin des von der Telekom bezahlten und für die Telekom geschriebenen Büchleins "Medienbildung entlang der Bildungskette" ist.

Ich vermute, dass diese Art der Prostitution in der akademischen Welt heute gang und gäbe ist bei allen, die ihren Professorenberuf für unterbezahlt halten. Auch dass eine Gruppe von mit Millionenbeträgen seitens TI gefütterten Didaktiker wie Hartwig Meissner und Bärbel Barzel jahrzehntelang das Hohe Lied der graphikfähigen Taschenrechner an Schulen gesungen haben ist nicht wirklich neu, jedenfalls nicht mir. Was neu ist ist die Chuzpe, die Diskussion über ein dahinterstehendes "a quoi bon" als eine Diskussion zu Lasten der armen Jugend von heute zu bezeichnen. Frech, dreist, und bodenlos unverschämt hätte ich das im vor-Trumpschen Zeitalter genannt.

    "In etlichen Bereichen rangiert der Südwesten im Ländervergleich im unteren Drittel", behauptet        Frau Eickelmann, "etwa bei der Frage, ob Lehrer glauben, dass Schüler dank Computer 
     besseren Zugang zu Informationsquellen bekommen". 

Ein Ländervergleich über eine Frage nach dem Glaubensbekenntnis von Lehrern? Geht's noch? Und nebenbei bemerkt, wenn man das Diagramm auf den Kopf stellt, dann sind wir im oberen Drittel. Wer legt denn hier fest, was oben ist? Ist der Glaube an das, was im Netz geschrieben ist, automatisch "oben"? Oder sollten Lehrer nicht auch wissen, dass man dank Computer auch Zugang zu verdammt miesen Informationsquellen hat? Trump, anyone?

Aber zum Glück gibt es hierzulande ja noch eine freie Presse. Die hat es allerdings versäumt, im allwissenden Internet nachzusehen, was die Frau Eickelmann so treibt, wenn sie nicht mit der Presse spricht.  Offenbar fehlte es hier nicht an einem Zugang zu besseren Informationsquellen, sondern an Wissen, wie und von wem hierzulande Bildungspolitik gemacht wird, sowie an einem gesunden Misstrauen gegenüber den Leuten, die unser Bildungssystem in den letzten 20 Jahren gegen die Wand gefahren haben. Aber wo soll das herkommen?

P.S. Meinen Leserbrief wollte die SZ nicht abdrucken.

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