Freitag, 8. März 2024

Abitur Gabun 2021

 Aus der Reihe Mathematikabitur im Rest der Welt heute Gabun 2021.


Exorphysikmus

 Wer hätte das gedacht, dass die Physik noch vor der Mathematik aus dem Schulunterricht entfernt wird? Man lernt halt nie aus, schon gar nicht auf Fortbildungen, auf denen man von den Segnungen des Zeitgeistes erfährt und gesagt bekommt, Einwände würden nicht nach oben weiter gegeben, weil das sinnlos sei. Während die US-Republikaner seit Reagan vom trickle-down faseln, also der Theorie, dass der Normalsterbliche irgendwann reicher wird, wenn man den Reichen die Steuern erlässt, ist das im deutschen Schulwesen seit Jahren Realität: Die Weisheit der Edukratoren tropft langsam, aber stetig vom RP zu den Fachreferenten zu den Lehrern herunter. 

Und die müssen den Mist dann aufwischen.

Gestern hat mir TG Materialien aus seiner jüngsten Fortbildung zukommen lassen, in der es darum ging, wie künftig Physik-Klassenarbeiten in der Mittelstufe auszusehen haben. Der Vorschlag der IQB unterscheidet sich im Niveau nur unwesentlich vom Rest, aber fangen wir damit an.

Aufgabe 1

In einer Lokalzeitung erschien ein Artikel darüber, dass in einem stillgelegten Atomkraftwerk in Gundremmingen (Bayern), ein neues Atommüll-Zwischenlager gebaut werden soll (Material 1).

Der Gemeinderat hatte im vorangegangenen Jahr den Bau eines solchen Lagers für sogenannte Castor Behälter zunächst verweigert (Material 2).

Versetze dich in die Perspektive eines Gemeinderatsmitgliedes, das in der Gemeinderatssitzung für oder gegen den Bau des Zwischenlagers stimmen wird.

Reflektiere die kurz- und langfristigen Folgen deiner Abstimmung im Gemeinderat. Verfasse dazu eine kurze Rede im Gemeinderat.

Aufgabe 2:

Schätze die Risiken ein, die der Transport und die Aufbewahrung von abgebrannten Brennstäben mit sich bringt (Material2). Nimm dabei Bezug auf das Atomgesetz (Material 3).

Das war's dann auch schon. Kompetenzorientiert, frei von jeder Rechnung, frei von Mathematik und Physik. Material 1 ist ein Artikel aus der Heidenheimer Zeitung, der aber so klein abgedruckt ist, dass man ihn nicht lesen kann. Muss man aber auch nicht, anscheinend reicht es, dass der Artikel erschienen ist und man eine Quelle hat. Am Ende von Material 1 wird der Name Castor erklärt:

Der Name „Castor“ ist die Abkürzung für "cask for storage and transport of radioactive material", was übersetzt "Behälter zur Lagerung und zum Transport radioaktiven Materials" bedeutet.

Für die Schüler. die Schwierigkeiten haben, sich das zu merken, beginnt Material 2 mit einer weiteren Erklärung des Namens:

Der Name Castor ist die Abkürzung für "cask for storage and transport of radioactive material", was übersetzt "Behälter zur Lagerung und zum Transport radioaktiven Materials" bedeutet.

Bis auf die fehlenden Anführungszeichen um "Castor" ist das jetzt kein wirklicher Erkenntnisgewinn. Aber wenn das IQB die Anführungszeichen weg lässt, ist das bestimmt ein Zeichen. Fragt sich wofür. 

Auch wofür der Rest von Material 2 gut ist, kann man sich fragen. Hier handelt es sich um eine Erklärung, wie ein Castorbehälter aufgebaut ist.  Man erfährt etwa:

20/28 bedeutet, dass wahlweise 20 oder 28 Glaskokillen in dem Castor-Behälter untergebracht werden können.

Falls Sie das wissen wollten, sich aber nie zu fragen getraut haben: Jetzt wissen Sie's. Was eine Glaskokille ist, kann der Schüler nach der Klassenarbeit im Internet recherchieren. Dennoch: Was hat das mit den Fragen zu tun? Ist der Aufbau für die Bewertung der Risiken nützlich? Für 15-jährige Schülerinnen?

Und was fangen die Schüler mit folgendem Auszug aus dem Atomgesetz an?

„Nach §4 und §6 des AtG (Atomgesetzes) benötigt sowohl die Beförderung als auch die Aufbewahrung von Kernbrennstoffen eine Genehmigung, die vom BfS (Bundesamt für Strahlenschutz) erteilt werden kann. Die Wärme entwickelnden radioaktiven Abfälle werden in speziellen Behältern sowohl für den Transport als auch die Lagerung verwahrt.

Dazu muss insbesondere der Nachweis über

• den sicheren Einschluss des radioaktiven Inventars,

• die ausreichende Abschirmung gegen ionisierende Strahlung,

• den Ausschluss des Entstehens einer kritischen Anordnung (Unterkritikalität),

• und die sichere Abfuhr der Zerfallswärme

erbracht werden. Das BfS überprüft die ausreichende Abschirmung gegen Strahlung und die Kritikalitätssicherheit.

Kritikalitätssicherheit? Wasndasalder? So macht man heute spannenden Physikunterricht. Scheints. Natürlich kann man sich in Physik über die Kernspaltung unterhalten. Man sollte dazu etwas über das Bohrsche Atommodell, Protonen, Neutronen, E = mc^2, Radioaktivität, ionisierende Strahlung, langsame und schnelle Neutronen und schweres Wasser wissen - kein Problem für Mittelstufenschüler, die schon von einem Weg-Zeit-Diagramm überfordert sind.

Was soll man jetzt daraus schließen? Dass hier Ideologen und Idioten am Werk sind, die jeden Tag vom späten Vormittag bis zur Mittagspause daran arbeiten, die letzten Reste eines Bildungssystems zu zerschlagen? Dass man diesen Leuten ins Hirn geschissen hat? Oder doch, dass die Spezialisten im RP  überaus intelligent sind  und ich die herabtropfende Weisheit einfach nicht zu goutieren weiß? 


Mittwoch, 14. Februar 2024

SSU

Mein NRW-Leidensgenosse hat mich gebeten, etwas über den sprachsensiblen Unterricht zu schreiben; jetzt hat er es selbst gemacht, was mir viel Arbeit spart - Danke! Zwei kleine Bemerkungen möchte ich aber nachtragen:

1. Die beste Doodelei aus dem 50-MB-Bildvokabelset ist zweifelsohne folgende: 


Ineinandergreifende Zahnräder, die sich nicht drehen können, sind in didaktischen Publikationen keine Seltenheit. Liegt vermutlich daran, dass die Leute Didaktik und nicht Ingenieur studiert haben:


2. Die von der Uni Bochum organisierte Akademie zur Fortbildung von Lehrern weiß auch, wie man den Mathematikunterricht sprachsensibel gestaltet und was uns Lehrern fehlt, um derart unterrichten zu können. Deswegen gibt es eine Fortbildung, in welcher die Lehrer was lernen. Ach was sag ich denn, nach welchen die Lehrer was können, nämlich:

Die Lehrkräfte können Hürden in Textaufgaben erkennen und diese umgehen 

Bei so etwas geht einem Sensibelchen wie mir das Messer in der Tasche auf. Hürden in Textaufgaben erkennen? Natürlich kann ich das, denn ich unterrichte in der Oberstufe ja kaum noch was Fachliches, sondern nur noch, wie man Hürden in Textaufgaben erkennt und diese umgeht. Das ist wie im Mittelalter die katholische Kirche: Sie hat mit Hölle und Fegefeuer Probleme geschaffen und gleichzeitig mit Beichte und Ablass die Lösung dieser Probleme angeboten. Und die Didaktiker und Psychologen aus der Bildungsforschung machen das Mathematikabitur unlösbar, indem sie sprachliche Hürden einbauen, und wollen uns dann Fortbildungen verkaufen, wie man diese erkennt und umgeht. 

Ich sag das jetzt mal so sensibel wie ich kann: Unterrichtet euern Scheißdreck doch gleich selbst! 


Dienstag, 13. Februar 2024

Experten

 Nach dem jüngsten PISA-Debakel haben sich wieder all diejenigen zu Wort gemeldet, die fürchterlich viel von Schule verstehen, aber der Meinung sind, die Welt habe ihre Weisheiten noch nicht zur Kenntnis genommen. Allen voran und einsame intellektuelle Speerspitze der Experten ist zweifellos PISA-Papst Andreas Schleicher, der zusammen mit der Didaktik die Bildung in Deutschland gegen die Wand gefahren hat und jetzt den überbezahlten Lehrern die Schuld geben möchte. 

Eine andere sehr helle Kerze auf jeder Geburtstagstorte ist Fernsehphilosoph David Richard Precht, der schon vor vier Jahren erklärt hat, dass Algebra verschwendete Zeit ist, weil es niemand braucht. Die Schule braucht ab Klasse 6 keine Fächer mehr, sondern Projektunterricht. 

In dasselbe Horn tutet seit einem Jahrzehnt Deutschlands vormals jüngster Professor der Mathematik, Christian Hesse aus Stuttgart. "Schafft die traditionellen Schulfächer ab!", meinte er 2017 in der SZ. Und: 

Zweitens haben die erwähnten Wissenslücken ihre Ursache nicht in der Kompetenzorientierung. Durch sie haben sich die  mathematischen Pisa-Leistungen deutscher Schüler deutlich verbessert.

Da hat ihn jetzt die Vergangenheit eingeholt, denn von einer deutlichen Verbesserung von irgendwas redet heute niemand mehr. Aber er weiß, was zu tun ist:

Der Unterricht müsste stark entrümpelt werden, etwa ein Viertel der Geometrie gestrichen werden, forderte Hesse.  
Ein Viertel der Geometrie wird schwierig: Außer Pythagoras und dem Strahlensatz ist davon nach der Anwendungsorientierung nichts mehr übrig, und wie soll man von zwei Themen ein Viertel weglassen, wenn die Schüler keine Bruchrechnung mehr können?

Hesse schlägt vor, die "Schubladisierung" in gut ein Dutzend Schulfächer aufzubrechen und stattdessen rund 100 Module wie Finanzwissen und Klimawandelkunde anzubieten, von denen manche frei wählbar sind. 

Klimawandelkunde. Mondlandekunde wäre auch nicht schlecht, damit wir die Inder einholen können. Oder Dummschwätzerkunde, damit man, wenn man von nichts eine Ahnung hat, von der SZ zum Experten geadelt wird.

Daraus, dass er mal Deutschlands jüngster Mathematikprofessor war, bildet er sich nichts ein; im Gespräch mit dem BR hat er folgendes verlauten lassen:

Es bedeutet mir hingegen etwas, gute Arbeit zu leisten – mein eigenes Alter ist mir dabei egal. Natürlich stellte diese Berufung eine gewisse Wertschätzung meiner Arbeit in den USA dar und sie ist sicherlich auch der Tatsache geschuldet, dass ich bei sehr guten Wissenschaftlern promovieren konnte.

In der Tat bestand seine hauptsächliche Arbeit darin, bei sehr guten Leuten promoviert zu haben. Danach kam nicht mehr viel; im Zentralblatt habe ich nur ganz wenige referierte Arbeiten von ihm gefunden. Und so, wie früher pensionierte Ingenieure sich an den Beweis der Fermatschen Vermutung machten, hat Prof. Hesse nach seiner Berufung die Stochastik Stochastik sein lassen und sich auf die Bildungspolitik gestürzt. 

Während seines Forschungsaufenthalts 2013 in Kalifornien hat er nicht etwa geforscht, sondern ein Buch geschrieben, nämlich "Was Einstein seinem Papagei erzählte: Die besten Witze aus der Wissenschaft". Erstaunlich, was der deutsche Steuerzahler Professoren so alles finanziert. Mathematisch war der Forschungsaufenthalt weniger ergiebig: seine letzte mathematische Arbeit hat Prof. Hesse 2007 veröffentlicht.

Jedenfalls weiß er, wie man Schüler für die Mathematik begeistert: mit Anwendungsorientierung und Data science. Das Paradebeispiel für anwendungsorientierten Mathematikunterricht sind vektorrechnende Ameisen: Die hat er hier und hier und hier und vermutlich an vielen anderen Orten ebenfalls besungen. Selbstverständlich, das hat sogar seine Gesprächspartnerin Petra Herrmann vom BR verstanden, können Ameisen gar keine Vektorrechnung. Es geht also nur mal wieder um die aktive Verdummung  der Schüler, denn wie man sie für Vektorrechnung begeistern kann, indem man ihnen von Ameisen erzählt, bleibt Hesses Geheimnis. Schön zu lesen dagegen der Originalartikel  über die Wüstenameisen, dem Hesse seine Weisheiten entnommen hat.


P.S. Auf n4t habe ich gelesen, welches Viertel der Geometrie der Herr Professor streichen will:

Aus Hesses Sicht müsste der Unterricht stark entrümpelt, etwa ein Viertel der Geometrie gestrichen werden. Als Beispiele nannte er windschiefe Geraden oder Tori – das sind Objekte, die aussehen wie ein Rettungsring. Solche komplexen geometrischen Formen sollten ähnlich wie abstrakte Vektorbeweise entfallen.

Tori und abstrakte Vektorbeweise sollen also nicht mehr unterrichtet werden. Seit über 10 Jahren blafaselt Hesse etwas über Schulmathematik und was sich ändern soll, und er hat in diesen 10 Jahren nicht ein einziges Mal in den Lehrplan oder in ein Schulbuch geguckt? Das erklärt zumindest, warum er mathematisch eine Niete ist. Solche Leute sind selbst für eine Provinzuniversität wie Stuttgart eine Schande. 


Montag, 29. Januar 2024

Rechtsschreibung

 Am Samstag waren hierzulande überall Demos gegen rechts, heute sind die Zeitungen voll davon. Im Titel der Ipf und Jagst darf ich dann lesen, dass das 

Bündnis gegen den Rassisumus

zur Kundgebung aufgerufen habe. Da wollen wir hoffen, dass beim Bündnis niemand das kleine Latinum hat. Dabei, so die Ipf und Jagst, waren Landtagsabgeordnete und Bürgermeister

in Personalaunion

anwesend. Orthographie wird überschätzt, denn in spätestens 10 Jahren hat Kretschmann einen Knopf im Ohr erfunden, der die Rechtschreibung simultan prüft. Und eine KI im Ohr verrät einem dann, dass das selbst korrekt geschrieben Unsinn ist, weil Personalunion nicht bedeutet, dass viele Leute mit verschiedenen Ämtern rumlaufen, sondern dass da einige Personen gleichzeitig verschiedene Ämter haben. 

Wir müssen uns wieder mehr besinnen müssen,

soll da jemand gesagt haben, aber ob ich der Zeitung das glauben soll, weiß ich noch nicht. Und weil ein Artikel über die Kundgebung nicht reicht, darf Nachwuchsjournalist Timo Lämmerhirt gleich einen zweiten verfassen, weil gleichzeitig 

Gedenktag für die Opfer des Ntionalsozialismus

gewesen ist, wie der Untertitel dem Leser verrät. Man sprt, wo man kann. Das Beste ist der Titel:

Währet den Anfängen

wird da verkündet. Kein einmaliger Ausrutscher:

Währet den Anfängen, denn "Nie wieder ist jetzt"

steht auch im Artikel. "Nie wider Faschismus" wäre noch besser gekommen. Aber man kann nicht alles haben.


 

Sonntag, 21. Januar 2024

GDL

 Dass die Bahn es schafft, immer noch schlechter zu werden, obwohl man das kaum für möglich hält, hatte ich unlängst schon erwähnt. Am Silvester jedenfalls fielen hier fast alle Züge aus - ich vermute, die Lokführer wollten lieber zu Hause böllern als zu arbeiten. Während des Streiks lief auch nicht viel, obwohl die GoAhead damit eigentlich nichts zu tun hat - aber weil sie die Schienen der DB benutzen und die Weichen in Stellwerken von DB-Mitarbeitern gestellt werden, führt der Streik bei der DB automatisch zu Ausfällen bei ganz anderen Unternehmen. So bei einer Zugfahrt von Ulm nach Jagstzell: in Aalen steht der Zug eine halbe Stunde, und es war nicht klar, ob er überhaupt fährt. Dann fährt er los bis Goldshöfe und hält dort an; Durchsage: man wisse nicht, wann oder ob es weitergeht. Nach einer halben Stunde die Durchsage, man möge sich Taxis rufen, es geht nicht weiter. Alle raus zum Telefonieren; nachdem die Leute Bekannte angerufen hatten, die sie abholen sollten, kam die Durchsage, dass es jetzt doch weitergeht. Also alle wieder rein bis auf diejenigen, deren Chauffeure schon unterwegs waren.

Letzte Woche 20 min Verspätung eines MEX13, der zwischen Crailsheim und Aalen verkehrt. Der Zug steht 200 m weiter hinten auf den Gleisen, fährt aber nicht los. Eine Frau erzählt, dass sie vor Weihnachten in Ulm hängen geblieben sei; keine Verbindung mehr, die Bahn brachte warme Decken und Tee, damit die gestrandeten Fahrgäste im Zug übernachten konnten. Immerhin. Dann sieht sie einen weißen Mercedes herfahren und sagt: "Da kommt der Lokführer!". Sie fährt dort regelmäßig und weiß nicht nur, dass der entsprechende Mann regelmäßig zu spät kommt, sondern kennt sogar sein Auto. In der Tat ging der Mann von seinem Auto über die Gleise zu seinem Zug und fuhr mit 20 min Verspätung los. Fachkräftemangel.

Montag, 15. Januar 2024

Mathematikabitur Türkei 2016

Wer in der Türkei einen Platz an einer der großen Universitäten haben will, muss u.A. bei diversen multiple-choice-Tests in Mathematik und anderen Fächern in der Spitzengruppe liegen. In Mathe sind 50 Fragen in 75 Minuten zu beantworten - man hat dort keine Probleme mit zu vielen Einser-Abis. Die Aufgaben sind durch die Bank gut und anspruchsvoll, und zeigen eindrücklich, dass es auch gute multiple-choice-Tests gibt (dass es fürchterlich schlechte gibt, kann man in Österreich sehen). Wer mag: hier steht das pdf-File mit den Aufgaben.